10 Tage Vipassana-Meditationskurs: Meine Erfahrungen

Als ich zum ersten Mal von Vipassana gehört habe, habe ich mir gedacht: Um nichts in der Welt würde ich das jemals machen. 10 Tage nur sitzen und meditieren? No f*cking way. Jetzt, fast 6 Jahre später, blicke ich auf meinen ersten 10-Tages-Kurs in Vipassana-Meditation zurück. Und ich gehe stark davon aus, dass es nicht mein letzter gewesen sein wird.

Was ist Vipassana?

Vipassana ist eine Meditationstechnik, die vor ca. 2.500 Jahren in Indien entwickelt wurde. Das Wort Vipassana bedeutet so viel wie „die Dinge so zu sehen, wie sie wirklich sind„. Die Vipassana-Meditation zielt darauf ab, den Geist zunächst zu konzentrieren und danach zu klären. Dadurch soll der Ursprung unseres Leids – der nach Vipassana in den automatisch ablaufenden Reaktionen unseres Unterbewusstseins liegt – behoben werden.

Die Technik der Vipassana-Meditation

In der Vipassana-Meditation beschäftigt man sich ausschließlich mit der „Realität, wie sie ist“ – und zwar so, wie man sie gerade im eigenen Körper erlebt. Man beobachtet Körperempfindungen, ohne auf sie zu reagieren – d.h. ohne Ablehnung unangenehmen oder Verlangen angenehmen Empfindungen gegenüber zu entwickeln. Dadurch, so heißt es, können wir nach und nach tief sitzende Gewohnheiten und Muster unseres Denkens verändern. Auf Visualisierungen, Mantras, etc. wird bewusst verzichtet, um sich nicht abzulenken. Es geht darum, zu lernen, mit dem zu sein, was ist – ohne etwas auszuweichen, ohne sich etwas herbei zu wünschen. Wenn Du mehr über die Vipassana-Meditation wissen möchtest, schau gerne hier vorbei.


Die Philosophie hinter der Vipassana-Meditation

Die Vipassana-Meditation hat buddhistische Wurzeln, kann aber unabhängig von religiösen Überzeugungen praktiziert werden. Es ist nicht notwendig, eine bestimmte Ideologie zu übernehmen oder an etwas oder jemanden zu glauben. Wie bereits erwähnt, arbeitet man ausschließlich mit den eigenen Körperempfindungen. „Die Wahrheit ist immer universell und nie einer bestimmten Personengruppe vorbehalten„, wird in verschiedensten Variationen immer wieder wiederholt.

Dennoch kommt man in den abendlichen Vorträgen mit der zugrundeliegenden buddhistischen Philosophie in Kontakt, die einem helfen soll, die Technik besser zu verstehen. Drei zentrale Begriffe möchte ich hier kurz aufgreifen.

Anicca – das Gesetz der Unbeständigkeit

Anicca ist eines der zentralen Prinzipien der Vipassana-Meditation. Alles verändert sich ständig, alles kommt und vergeht auch wieder. Daran soll man sich in der Meditation immer wieder erinnern. Jede Empfindung, egal wie angenehm oder unangenehm sie auch sein mag, kommt und vergeht wieder.

Upekkha – Gleichmut

Ein wichtiges Ziel der Vipassana-Meditation ist es, Gleichmut zu entwickeln. Wir sollen lernen, mit dem Verständnis von Anicca, dem Gesetz der ständigen Veränderung, nicht auf Körperempfindungen zu reagieren. Wir sollen aufhören, Abneigung gegen Unangenehmes und Verlangen nach angenehmen Erfahrungen zu entwickeln. Mit vollkommenem Gleichmut sollen wir die Realität, wie wir sie von Moment zu Moment in unserem Körper erfahren, einfach nur wahrnehmen.

Bhāvanā-mayā PaññāWeisheit durch Erfahrung

Diese Weisheit soll durch die Vipassana-Meditation entwickelt werden: Eine Weisheit, die nicht darauf beruht, was wir von anderen hören oder lesen oder was wir intellektuell verstehen. Die höchste Form der Weisheit entsteht durch die eigene Erfahrung. Für solche Erfahrung bietet ein 10-tägiger Vipassana-Kurs jede Menge Zeit.

Die Vipassana-Meditation ist buddhistischen Ursprungs, kann aber unabhängig von religiösen Vorstellungen praktiziert werden.

Der 10-Tages-Kurs: Vipassana-Meditation erlernen

Vipassana-Meditation wird traditionellerweise in 10-tägigen Kursen gelehrt. Das ist der Zeitraum, den es braucht, um die Technik zu erlernen und erste Erfahrungen damit zu sammeln. Für die ersten 9 Tage des Kurses gilt neben einigen weiteren Regeln die sogenannte „Edle Stille“ – d.h. man verzichtet auf jegliche Form der Kommunikation (Sprechen, Schreiben, Gesten,…) mit den anderen Kursteilnehmer:innen. Mit den Lehrer:innen darf man zu bestimmten Zeiten sprechen, um etwaige Fragen zu klären.

Eine Besonderheit von Vipassana ist es, dass die Kurse ausschließlich auf Spendenbasis durchgeführt werden. Man bekommt den Kurs sozusagen von früheren Schüler:innen geschenkt und kann im Anschluss selbst eine Spende geben, um weiteren Personen die Teilnahme zu ermöglichen.

Die Kurstage sind gut gefüllt – vorwiegend natürlich mit Meditation. Täglich praktiziert man ca. 10 Stunden zwischen 04:30 Uhr morgens und 21 Uhr abends. Weitere Informationen zu den Kursen und Teilnahmebedingungen findest Du hier.

Ein Gong ertönt beim Vipassana-Kurs vor jedem Programmpunkt.

Tagesablauf bei einem Vipassana-Kurs

04:00 Gong – Aufstehen
04:30-06:30 Meditation in der Halle oder im eigenen Zimmer
06:30-08:00 Frühstückspause
08:00-09:00 GRUPPENMEDITATION IN DER HALLE
09:00-11:00 Meditation in der Halle oder im eigenen Zimmer entsprechend den Anweisungen des Lehrers
11:00-12:00 Mittagessen
12:00-13:00 Ruhepause und Gelegenheit zum Interview mit dem Lehrer
13:00-14:30 Meditation in der Halle oder im eigenen Zimmer
14:30-15:30 GRUPPENMEDITATION IN DER HALLE
15:30-17:00 Meditation in der Halle oder im eigenen Zimmer entsprechend den Anweisungen des Lehrers
17:00-18:00 Teepause
18:00-19:00 GRUPPENMEDITATION IN DER HALLE
19:00-20:15 Vortrag des Lehrers in der Halle
20:15-21:00 GRUPPENMEDITATION IN DER HALLE
21:00-21:30 Zeit für Fragen in der Halle
21:30 Nachtruhe – Licht aus
Tagesablauf beim Vipassana-Kurs.

Meine Erfahrung: Der erste 10-Tages-Vipassana-Kurs

Ich habe im März 2024 an meinem ersten 10-Tages-Kurs teilgenommen. Der Kurs hat im Jufa Waldviertel stattgefunden und wurde von Vipassana Österreich durchgeführt.

Vipassana Tag 0: Jetzt geht’s los…

Nach einer ca. 4-stündigen Autofahrt kommen wir im Jufa Waldviertel, wo der Kurs stattfinden wird, an. Der Parkplatz ist schon gut gefüllt. Es tut gut, aus dem Auto zu steigen und sich durchzustrecken. Mein Sitzfleisch ist nach diesen paar Stunden schon überbeansprucht. Wie soll ich diese 10 Tage jemals überstehen? „Es wird schon irgendwie gehen“, sage ich mir zum gefühlt hundertsten Mal.

Wir stellen unser Gepäck ab und gehen noch eine ausgedehnte Runde spazieren. Danach verabschieden wir uns – während des Kurses gilt Geschlechtertrennung – und gehen zum jeweiligen Anmeldebereich. Dort bekomme ich ein Formular, das ich ausfüllen soll. Darin sind unter anderem die Regeln für den Kurs nochmals aufgelistet und man erklärt sich bereit, die vollen 10 Tage zu bleiben. Ich fasse den Entschluss, es zumindest zu versuchen. Handy, Schreibsachen und Autoschlüssel sind bei der Anmeldung gemeinsam mit dem Formular abzugeben. Den zweiten Autoschlüssel behalte ich mir zur Sicherheit. So ganz geheuer ist mir das alles noch nicht.

Vipassana Tag 1: Wie komme ich hier weg?

Den Weckgong um 4 Uhr morgens baue ich gekonnt in meinen Traum ein und schlafe genüsslich weiter. Kurz darauf reißt mich der Wecker meiner Zimmerkollegin doch aus dem Schlaf. Mit einem ungewollten „mmmmh“ breche ich zum ersten Mal die „Edle Stille“. In der 2-stündigen Morgenmeditation schaue ich etwa im 15-Minutentakt auf die Uhr. Es fühlt sich ewig an, EWIG! Ich frage mich, wie diese 10 Tage jemals vergehen sollen und überlege mir diverse Fluchtszenarien. Was, wenn ich mir das Bein breche? Dann darf ich wohl schon weg, oder?

Ich finde langsam meine Routine. Spaziergang nach dem Frühstück, Mittagsschlaf nach dem Mittagessen, Duschen nach dem Abendtee. Der Tag ist gut gefüllt und ich wünsche mir mehr Pausen. Insgesamt fällt es mir schwer, mich an den vorgegebenen Tagesablauf zu halten, vor allem in Bezug auf die Essenszeiten. Es gibt gutes Essen und es ist ausreichend von allem da, aber die zeitliche Einschränkung stresst mich. Ich habe Hunger, vor allem morgens und abends. Irgendwann ist dieser scheinbar endlose Tag dann doch zu Ende und ich falle in einen tiefen, ruhigen Schlaf.

Vipassana Tag 2: Mind = full

Ich beginne in Gedanken, diesen Blog-Artikel zu schreiben und mein eigenes Schweigeretreat zu planen. Mein Kopf ist voll. Ich habe unzählige Ideen für Social-Media-Beiträge, Newsletter und Angebote. Nichts davon kann ich mir aufschreiben. Ich freue mich darauf, wenn ich wieder arbeiten „darf“. Dennoch versuche ich, mich auf meinen Atem zu konzentrieren – die einzige Aufgabe für die guten 10 Stunden Meditation in den ersten drei Tagen. Das soll den Geist schärfen und auf die eigentliche Technik vorbereiten.

Ich erwische mich dabei, wie ich auf meiner Smartwatch herumwische, während ich am WC sitze. Außer der Uhrzeit und meiner Schrittzahl ist dort nichts zu sehen, aber es ist das nächstbeste, was ich als Ersatz fürs Smartphone habe. Eine eigenartige Angewohnheit, die ich ab sofort immer wieder schmunzelnd beobachte.

Ich höre Gongs, wo keine sind und befürchte, hier verrückt zu werden. Nach dem Mittagessen will ich mich „kurz“ hinlegen und sinke so tief ins Land der Träume, dass mich der Gong kaum wieder zurückholen kann. Die erste Nachmittagsmeditation verbringe ich noch halb verschlafen im Zimmer. Atemzug für Atemzug vergeht eine Meditation nach der anderen. Die Mahlzeiten sind willkommene Abwechslungen in der sonst doch recht eintönigen Routine.

Ich lerne, die „echten“ Gongs von den vorgestellten zu unterscheiden. Tag 2 ist geschafft. Ich glaube langsam daran, doch die ganzen 10 Tage bleiben zu können. Ich bin überrascht, dass sich mein Körper schon langsam an das viele Sitzen gewöhnt. Außerdem bin ich zunehmend neugierig. Neugierig, die Technik nach und nach zu erlernen. Neugierig auf die Auswirkungen. Neugierig auf das Gefühl nach dem Kurs. Ich will wissen, wie es sich anfühlt, diese 10 Tage durchgehalten zu haben.

Vipassana Tag 3: Bliss

Ich gönne mir eine Tasse Löskaffee zu meinem Morgen-Porridge. Ich sehe mich im Speisesaal um. Irgendwie wirkt die Stimmung so gedrückt. Gesenkte Blicke, betretenes Schweigen, zaghaftes Geklapper von Besteck und Tellern. Und plötzlich überkommt mich ein Gefühl der grundlosen, tiefen Freude. Ich freue mich, hier zu sein. Ich freue mich über jeden Bissen und Schluck meines Frühstücks. Ich freue mich einfach, über alles und nichts zugleich. Der Tagesablauf für mein Schweigeretreat ist in meinem Kopf bereits durch geplant. Die Gedanken wandern immer noch oft zur Arbeit, aber werden langsam ruhiger.

Ich genieße die Stille, vor allem beim Essen. Es tut gut, nicht ständig das Gefühl zu haben, etwas sagen zu „müssen“. Es tut gut, von fremden Menschen umgeben zu sein, ohne Smalltalk zu führen.

Ab heute Nachmittag liegen FFP2-Masken und Antigen-Tests auf dem Fensterbrett im Stiegenhaus. Das beunruhigt mich etwas. Ab sofort vermute ich hinter jedem Husten oder Niesen die nächste Pandemie und desinfiziere mir regelmäßig die Hände. Ich beginne außerdem wieder, meine Nahrungsergänzungsmittel regelmäßig einzunehmen, um mein Immunsystem zu unterstützen. Nach einer der Meditationen in der Halle sehe ich Andreas am anderen Ende des Raumes. Unsere Blicke treffen sich für einen Moment und ich gehe lächelnd nach draußen.

Ich beginne wieder mit der „High-5-Habit“ (sich selbst im Spiegel ein High-5 zu geben), um mir am Beginn und Ende des Tages zu gratulieren, dass ich noch hier bin. Wenn ich 3 Tage schaffe, schaffe ich auch 10. Das geht schon.

Vipassana Tag 4: Adhiṭṭhāna – starke Entschlossenheit

Heute lernen wir nach 3 Tagen Anapana-Meditation (Beobachtung der natürlichen Atmung) die eigentliche Vipassana-Technik kennen. Immer wieder sollen wir mit unserer Aufmerksamkeit unseren Körper von Kopf bis Fuß abwandern und sämtliche Körperempfindungen wahrnehmen, ohne darauf mit Abneigung oder Verlangen zu reagieren. Ich empfinde es als unglaublich erleichternd, meinen Fokus wieder bewegen und ausweiten zu „dürfen“. Erstaunt stelle ich fest, dass ich mich tatsächlich viel besser konzentrieren kann. Es kommen kaum mehr Gedanken. In meinem Geist kehrt nach und nach friedvolle Stille ein. Ich finde mich damit ab, diese 10 Tage hier zu verbringen und will nicht mehr ausbrechen.

Ab heute Abend sollen wir 3x täglich für eine Stunde still sitzen, ohne die Augen, Arme oder Beine zu öffnen. Diese Stunden werden Adhiṭṭhāna, Sitzungen der starken Entschlossenheit, genannt. Ich kann mir nicht vorstellen, dass das für mich möglich ist. Beim ersten Versuch gebe ich nach 48 Minuten auf, schaue auf die Uhr und bewege meine Beine und meine Wirbelsäule. Ich bin überrascht, wie lange ich es durchgehalten habe und beschließe mein nächsten Mal eine andere Sitzposition zu probieren.

In der Nacht wache ich immer wieder auf und glaube, beim Meditieren eingeschlafen zu sein. Ich beginn wieder, meine Aufmerksamkeit durch meinen Körper zu schicken, bevor ich realisiere, dass ich mich jetzt ausruhen darf.

Ab Tag 4 soll man 3x täglich eine Stunde sitzen, ohne sich zu bewegen.

Vipassana Tag 5: Freudentränen

Beim zweiten und dritten Adhiṭṭhāna-Versuch schaffe ich es, meine Beine und Arme stillzuhalten. Den Kopf und Nacken bewege ich noch hin und wieder, um die Spannung, die sich mit der Zeit hier aufbaut, etwas zu lockern. Beim vierten Mal sitze ich für die Stunde still, beobachte die auftretenden Schmerzen und wandere mit meiner Aufmerksamkeit geduldig von Kopf zu Fuß und von Fuß zu Kopf. „Pain and peace can co-exist“, kommt mir dabei in den Sinn. Auch diese Stunde vergeht und ich bin unfassbar glücklich darüber, das scheinbar Unmögliche geschafft zu haben. Ich verlasse die Meditationshalle freudestrahlend und energiegeladen.

Draußen, in der abendlichen Dunkelheit, kullern mir ein paar Tränen der Freude und Erleichterung über die Wangen. Was ist wohl noch alles möglich? Mir wird bewusst, wie oft es nur mentale und keine realen Barrieren sind, die mir im Weg stehen. Wie viele solcher Barrieren ich hier wohl noch durchbrechen werde? Ich bin voller Freude und Dankbarkeit.

Vipassana Tag 6: Alle guten Dinge sind drei

Ich schaffe noch zwei Adhiṭṭhāna-Stunden ohne mich zu bewegen. Ein Mal hätte ein Glückstreffer sein können, zwei Mal ein glücklicher Zufall. Aber drei in Folge? Ich kann es jetzt wohl wirklich. Ich bin erleichtert und gleichzeitig auch etwas freier.

In den Meditationen im Zimmer wechsle ich meine Position weiterhin alle 20-30 Minuten, manchmal auch öfter. Ich baue Elemente aus dem Yin-Yoga ein, das sich für mich wunderbar mit dieser Technik vereinbaren lässt. Mit den morgendlichen Spaziergängen und dem Weg vom Zimmer in die Meditationshalle und retour komme ich täglich auf ca. 10.000 Schritte. Auch das überrascht mich. Der Bewegungsmangel, den ich befürchtet hatte, ist gar nicht so schlimm. Körperlich fühle ich mit gut und locker, viel besser als erwartet. Das viele Sitzen macht mir nichts mehr aus.

Ich frage mich, was ich tun soll, wenn ich gerade nicht gleichmütig bin. Wenn ich ungeduldig werde, wenn ich mich gegen die Schmerzen sträube, die immer wieder entstehen. Vielleicht soll ich die Lehrerin fragen? Ich beschließe, noch zu warten. Vielleicht ergibt sich noch eine Antwort aus der Erfahrung.

Vipassana Tag 7: Eigenartig normal

Ich habe mich an den Rhythmus, den Tagesablauf, den Ort gewöhnt. Es fühlt sich eigenartig normal an, hier zu sein. Gleichzeitig habe ich das Gefühl, dass es langsam reicht. Es kommt nichts Neues mehr. Ich habe die Technik verstanden. Ich habe die eine oder andere Herausforderung bewältigt. Ich denke mir, dass 7 Tage eigentlich genug wären. Wozu 10? Die Ungeduld, eine alte Bekannte, schleicht sich ein. Trotzdem fühle ich mich insgesamt sehr ruhig und ausgeglichen.

Ab heute habe ich auch keinen Hunger mehr. Mein Stoffwechsel hat sich wohl endlich an die Essenzeiten gewöhnt. Mehrere Antworten auf die Frage nach dem fehlenden Gleichmut sind aufgetaucht. Keine davon stellt mich zufrieden. Ich beschließe, noch einen Tag zu warten.

Vipassana Tag 8: Ich mag nicht mehr

Die Ungeduld breitet sich weiter aus. Es beginnt mich zu nerven, zum gefühlt tausendsten Mal meinen Körper von Kopf bis Fuß und umgekehrt zu scannen. Die sich ständig wiederholenden Anweisungen nerven. Die Schlange bei der Essensausgabe nervt. Draußen ist es kalt und grau. Es regnet, gefühlt schon seit Tag 1. Ich mag nicht nach draußen gehen. Ich bin müde und genervt. Ich nehme meinen Unmut wahr und muss darüber schmunzeln. Anicca. Auch das geht vorbei. Vielleicht ist es auch nur PMS. Ich spreche mir gut zu: „Ein Body Scan nach dem anderen, eine Meditation nach der anderen. Du hast es schon bis Tag 8 geschafft, jetzt schaffst du den Rest auch noch.“ Sowieso ist mir klar, dass aufgeben keine Option mehr ist. Ich entspanne mich etwas und nehme einfach wahr, welche Gedanken, welche Empfindungen, welche Spannungen entstehen und wieder vergehen. Ich habe wohl doch etwas Gleichmut entwickelt.

Vipassana Tag 9: Eigentlich will ich gar nicht mehr reden

Der letzte „richtige“ Tag. Wir erfahren, dass wir am nächsten Tag wieder reden dürfen. Eigentlich will ich das gar nicht. Ich genieße die Stille. Ich habe nicht das Gefühl, irgendetwas zu sagen zu haben. Ich habe keine Lust auf Geplapper. Ich will meine Ruhe haben – nach wie vor.

Ich frage die Lehrerin, was ich tun soll, wenn der Gleichmut fehlt. Sie gibt mir eine der Antworten, die ich mir selbst schon zusammen gereimt hatte und sagt, dass der Gleichmut sich erst mit der Zeit entwickle und dass es normal sei, wenn er nicht immer da ist. „Danke für nichts“, denke ich mir und weiß gleichzeitig, dass sie wohl recht hat. Ich hatte mir ein größeres Aha-Erlebnis gewünscht oder einen „Cheat Code“, mit dem es leichter wird oder schneller geht. So etwas gibt es wohl nicht – nicht bei Vipassana, nicht im Leben. Ich finde mich damit ab.

Mit dem Bewusstsein, dass das Ende so nah ist, vergeht der Tag sehr schnell. Ich verlasse nach der Abend-Meditation die Halle und richte den Blick zum Himmel, geschmückt mit unzähligen Sternen und einer bilderbuchhaften Mondsichel. Mich überkommt ein Gefühl der tiefen Dankbarkeit. Ich gehe eine Runde spazieren und stelle erstaunt fest, dass die Angst, die mich sonst oft begleitet, wenn ich allein im Dunklen bin, nicht da ist. „Reality as it is“, denke ich mir, „da gibt es nichts zu fürchten.“

Vipassana Tag 10: Wiedersehen macht Freude

Am Vormittag dürfen wir das Schweigen brechen. Auch die Geschlechtertrennung ist – zumindest phasenweise – aufgehoben. Dort, wo vor kurzem noch ein weißer Vorhang hing, um Männer und Frauen voneinander abzuschotten, sehe ich jetzt eine Gruppe von Männern stehen. Unter ihnen Andreas, der strahlend auf mich zukommt. „Wir dürfen uns noch nicht berühren“, erinnere ich ihn. Und so stehen wir da und sehen uns für einen Moment einfach nur an.

Dann gehen wir nach draußen – endlich scheint wieder die Sonne! Wir tauschen uns über unsere Erfahrungen aus und plaudern auch mit ein paar weiteren Mit-Meditierenden. Es ist doch schön, wieder sprechen zu dürfen und von den Herausforderungen und Erkenntnissen der anderen zu hören. Noch schöner ist es, wieder zu lachen. Das ist wohl das, was ich am meisten vermisst hatte.

Der Tag ist etwas entspannter, der Vormittag frei. Ich genieße es sehr, wieder etwas Luft zu haben. Zwischendurch gibt es Info-Vorträge über das Mithelfen auf Vipassana-Kursen und den Bau des Vipassana-Meditationszentrums in Oberöstereich.

In der Meditation merke ich, dass mein Geist wieder unruhiger wird. Ich wiederhole Gespräche und Geschichten, verarbeite das Gehörte. Vor dem Einschlafen rede und lache ich noch mit meinen beiden Zimmerkolleginnen. Es fühlt sich ein bisschen an wie auf Ferienlager, leichter und weniger ernst als bisher. Das tut gut.

Vipassana Tag 11: Back to life, back to reality

Nach einer letzten Morgen-Meditation in der Halle gibt es Frühstück. Danach wird aufgeräumt und geputzt. Überall finden Gespräche statt, werden Nummern ausgetauscht und Erfahrungen geteilt. Und dann ist es auch schon wieder Zeit, Abschied zu nehmen. Anicca, ständige Veränderung.

Wir treten unsere Heimreise an und nehmen noch zwei Mit-Meditierende mit, die wir unterwegs absetzen. Nachdem wir uns noch nicht ganz bereit fühlen, wieder ins Stadtleben einzutauchen, machen wir noch einen Zwischenstopp in den Bergen. Dort lassen wir uns Zeit, alles in Ruhe nachwirken zu lassen und uns auszuruhen. Irgendwie fühlt sich alles etwas surreal an. Wieder mit der „Zivilisation“ in Kontakt zu kommen ist ein kleiner Kulturschock. Und dennoch ist es schön, mit den neuen Erkenntnissen und Fähigkeiten zurück in das „echte“ Leben zu kehren. Wir dürfen gespannt sein, wie es jetzt wird, was wir anders wahrnehmen, wie wir uns verändert haben und weiter verändern werden. Das neue Bewusstsein von Anicca, dem Gesetz der Unbeständigkeit, begleitet uns auf jeden Fall weiterhin.


FAQs: Antworten auf die häufigsten Fragen zum Vipassana-Kurs

10 Tage schweigen & meditieren – warum macht man das?

Die Motivationen zur Teilnahme an einem Vipassana-Kurs sind ganz unterschiedlich. Einige der Teilnehmer:innen haben mir erzählt, dass sie sich mehr geistige Klarheit und Konzentration gewünscht haben. Andere wollten einfach eine Auszeit vom Alltagsstress, wieder andere kamen mit der Motivation, „meditieren zu lernen“.

Mich hat vor allem die Neugierde zum Kurs gebracht. Ich wollte einfach wissen, wie es ist, so viel zu meditieren. Mich haben auch die Herausforderung und die Intensität der Erfahrung gereizt. Ein weiterer Beweggrund für mich war, meine Meditationspraxis zu vertiefen. Es ist eine wunderbare Möglichkeit, diese Meditationstechnik kennen zu lernen und die Auswirkungen durch diese Zeit der intensiven Praxis zu erfahren.

Das Leben nach Vipassana: Was hat sich verändert?

Nach einer Woche wieder zurück im „normalen“ Leben kann ich sagen: Es macht schon einen Unterschied. Auf jeden Fall merke ich, dass ich gelassener bin und in Situationen, die mich aus der Balance bringen, schneller wieder in meine Mitte finde. Ich lasse mich weniger schnell aus der Ruhe bringe und habe ein tieferes Verständnis dafür, was wichtig ist und was nicht. Meine Konzentration hat sich auch verbessert und ich meditiere jetzt regelmäßiger und länger (jeden Morgen eine Stunde und meistens am Nachmittag/Abend nochmals so 20-30 Minuten.) Wir werden sehen, wie sich das auf längere Zeit hin auswirkt.

Vipassana-Kurs mit Partner: Wie ist das?

Andreas und ich haben gleichzeitig am Kurs teilgenommen. Auch, wenn wir während dem Kurs in keiner Weise miteinander kommunizieren durften, fanden wir es sehr schön, zu wissen, dass wir gemeinsam dort sind. In schwierigen Momenten hat uns das Wissen, dass der/die andere auch da ist motiviert, es durchzuziehen. Und auch jetzt finden wir es sehr wertvoll, uns über unsere Erfahrungen austauschen und gemeinsam weiter meditieren zu können. So war es für uns. Andere Teilnehmer:innen haben uns erzählt, dass sie es lieber alleine machen, um sich ganz auf sich selbst zu konzentrieren.

Braucht man schon Erfahrung mit Meditation, um an einem Vipassana-Kurs teilnehmen zu können?

Nein. Wahrscheinlich ist es etwas einfacher, wenn man davor schon ähnliche Erfahrungen gemacht hat. Aber beider meiner Zimmerkolleginnen und viele weitere Teilnehmer:innen haben davor noch gar nichts mit Meditation am Hut gehabt. Der 10-Tages-Kurs ist eine wunderbare Möglichkeit, eine Meditationstechnik zu erlernen und zu erleben, um danach auch für sich meditieren zu können.

Würdest Du es weiter empfehlen?

Für gesunde Menschen: Definitiv ja. Es ist eine sehr wertvolle Erfahrung, in der man viel über sich selbst lernen kann. Auch bei Krankheiten jeglicher Art kann Vipassana-Meditation hilfreich sein. Allerdings ist in diesem Fall eine Abklärung mit dem Arzt/der Ärztin bzw. dem/der Psychotherapeut:in notwendig.

Was kann man durch Vipassana-Meditation lernen?

  • Gelassenheit & Gleichmut
  • Durchhaltevermögen & Disziplin
  • Aufmerksamkeit & Achtsamkeit
  • Konzentration & Körperbewusstsein
  • mentale Barrieren erkennen & überkommen
  • uvm…

Wenn Du noch weitere Fragen hast, schreib‘ mir gerne eine E-Mail.


Meine Tipps für den ersten 10-Tages-Kurs

Bereite Dich vor.

Beginne schon ein paar Wochen vor dem Kurs, Dein Leben etwas zu entschleunigen. Verbringe schrittweise weniger Zeit online. Konsumiere weniger Nachrichten, Informationen, Bücher, Podcasts, Musik, etc. Gewöhne Dich langsam an die Stille. Reduziere Kaffee, Zucker und Fleisch. Alles, was Du Dir davor schon abgewöhnst, belastet Dich dann beim Kurs nicht mehr.

Halte durch! Es wird wieder leichter.

Jede:r, mit dem/der ich nach dem Kurs gesprochen habe, wollte zu irgendeinem Zeitpunkt abbrechen. Die 10 Tage können sich zwischendurch unendlich lang anfühlen. Es können alle möglichen Herausforderungen, Bilder, Erinnerungen, Emotionen… auftauchen. Das kann sehr herausfordernd werden, aber im Grunde ist das auch der Sinn der Sache. Dinge zeigen sich, um bereinigt und verarbeitet zu werden. Wenn es hart wird, erinnere Dich daran, dass auch das vorbei geht. Es wird wieder leichter. Und es wird sich auszahlen.

Denke in kleinen Schritten.

10 Tage können wie eine Ewigkeit wirken. Denke an einen Tag nach dem anderen. Wenn sich ein Tag auch ewig anfühlt, denke an eine Meditation nach der anderen. Und ja, auch die einzelnen Meditationen können sich wie eine Ewigkeit anfühlen. Dann denke immer nur an einen Atemzug oder einen Körperteil nach dem anderen. Mache die Schritte so klein, dass sie für Dich bewältigbar wirken.

Mach‘ es Dir nicht unnötig schwer.

Auch, wenn die Regeln und der Zeitplan recht streng sind, hat man etwas Spielraum. Nutze diesen, um es Dir so einfach wie möglich zu machen. Mir hat es extrem geholfen, so viel wie möglich im Zimmer zu meditieren. Dort konnte ich öfter meine Position wechseln, hin und wieder auch im Liegen oder Stehen meditieren und zwischendurch ein paar Dehnungsübungen machen. Gestalte die Pausen so, dass sie für Dich angenehm sind. Schränke Dich nicht unnötig beim Essen ein und stecke Dir zusätzlichen Ziele, wie z.B. eine bestimmte Schrittanzahl pro Tag. Sei geduldig mit Dir – vor allem dann, wenn etwas nicht so funktioniert, wie Du es Dir vorgestellt hast.

Lobe Dich immer wieder.

Schenke Dir selbst Lob und Anerkennung. Gratuliere Dir mindestens einmal am Tag, dass Du da bist und das durchziehst – gerne auch öfter. Sprich Dir selbst gut zu und motiviere Dich. So viele tausende Menschen haben diese 10 Tage schon geschafft. Du schaffst das auch!

Lass mich gerne wissen, wenn Du an einem Vipassana-Kurs teilnimmst oder bereits teilgenommen hast. Ich freue mich, wenn Du Deine Erfahrung mit mir teilst.

Mögen alle Wesen glücklich und frei sein.

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